Kurzfilme zu „Jugend ohne Gott“

Munich International School - Mini Film Contest
   

Schülerinnen und Schüler der 9. Jahrgangsstufe der Munich International School haben bei einem Projekt im Schloßmuseum Murnau unter anderem Textauszüge aus Horváths „Jugend ohne Gott“ auf ihren Kern untersucht. Die Handlung für ihren Film wurde ausgewählt, Kulissen wurden gebaut und mit der App Stop Motion verfilmt. In der Schule konnten sie die Filme noch weiterbearbeiten und schließlich ihre Siegerfilme wählen.

Und das sind die Siegerfilme:

Kapitel: Unkraut
Ort: Hügel, Mulde mit Bauernhaus, Hecke
Personen: der Lehrer, 3 Kinder, die Bäuerin, der Bauer


Der Himmel ist zart, die Erde blass. Die Welt ist ein Aquarell mit dem Titel: »April«.
Ich geh um das Lager herum und folge dann einem Feldweg. Was liegt dort hinter dem Hügel?
Der Weg macht eine große Krümmung, er weicht dem Unterholz aus. Die Luft ist still wie die ewige Ruh. Nichts brummt, nichts summt. Die meisten Käfer schlafen noch.
Hinter dem Hügel liegt in einer Mulde ein einsamer Bauernhof. Kein Mensch ist zu sehen. Auch der Hund scheint fortgegangen zu sein. Ich will schon hinabsteigen, da halte ich unwillkürlich, denn plötzlich erblicke ich hinter der Hecke an der schmalen Straße, die am Hof vorbeiführt, drei Gestalten. Es sind Kinder, die sich verstecken, zwei Buben und ein Mädchen. Die Buben dürften dreizehn Jahre alt sein, das Mädchen vielleicht zwei Jahre älter. Sie sind barfuß. Was treiben sie dort, warum verstecken sie sich? Ich warte. Jetzt erhebt sich der eine Bub und geht auf den Hof zu, plötzlich schrickt er zusammen und verkriecht sich rasch wieder hinter der Hecke. Ich höre einen Wagen rasseln. Ein Holzfuhrwerk mit schweren Pferden fährt langsam vorbei. Als es nicht mehr zu sehen ist, geht der Bub wieder auf den Hof zu, er tritt an die Haustür und klopft. Er muss mit einem Hammer geklopft haben, denke ich, denn es dröhnte so laut. Er lauscht und die beiden anderen auch. Das Mädel hat sich emporgereckt und schaut über die Hecke. Sie ist groß und schlank, geht es mir durch den Sinn. Jetzt klopft der Bub wieder, noch lauter. Da öffnet sich die Haustür und eine alte Bäuerin erscheint, sie geht gebückt auf einen Stock. Sie sieht sich um, als würde sie schnuppern. Der Bub gibt keinen Ton von sich. Plötzlich ruft die Alte: »Wer ist denn da?!« Warum ruft sie, wenn der Bub vor ihr steht? Jetzt schreit sie wieder: »Wer ist denn da?!« Sie geht mit dem Stock tastend an dem Buben vorbei, sie scheint ihn nicht zu sehen – ist sie denn blind? Das Mädel deutet auf die offene Haustür, es sieht aus, als wärs ein Befehl, und der Bub schleicht auf Zehenspitzen ins Haus hinein. Die Alte steht und lauscht. Ja, sie ist blind. Jetzt klirrts im Haus, als wär ein Teller zerbrochen. Die Blinde zuckt furchtbar zusammen und brüllt: »Hilfe! Hilfe!« – da stürzt das Mädel auf sie los und hält ihr den Mund zu, der Bub erscheint in der Haustür mit einem Laib Brot und einer Vase, das Mädel schlägt der Alten den Stock aus der Hand – ich rase hinab. Die Blinde wankt, stolpert und stürzt, die drei Kinder sind verschwunden.
Ich bemühe mich um die Alte, sie wimmert. Ein Bauer eilt herbei, er hat das Geschrei gehört und hilft mir. Wir bringen sie in das Haus, und ich erzähle dem Bauer, was ich beobachtet habe. Er ist nicht sonderlich überrascht: »Jaja, sie haben die Mutter herausgelockt, damit sie durch die offene Tür hinein können; es ist immer dieselbe Bagage, man fasst sie nur nicht. Sie stehlen wie die Raben, eine ganze Räuberbande!«
»Kinder?!«
»Ja«, nickt der Bauer, »auch drüben im Schloss, wo die Mädchen liegen, haben sie schon gestohlen. Erst unlängst die halbe Wäsch. Passens nur auf, dass sie Ihnen im Lager keinen Besuch abstatten!«
»Nein – nein! Wir passen schon auf!«
»Denen trau ich alles zu. Es ist Unkraut und gehört vertilgt!«


Kapitel: Der Tormann
Ort: Wohnung des Lehrers, Wohnung des Tormanns, Haus des W, Friedhof
Personen: Lehrer, Hausfrau, Lehrer des W, Tormann, W, Arzt, Mutter des W,
Direktor, Lehrerkollegium, Pfarrer, Verwandte, Mitschüler des W


Als ich morgens nach Hause kam, erwartete mich bereits meine Hausfrau. Sie war sehr aufgeregt. »Es ist ein Herr da«, sagte sie, »er wartet auf Sie schon seit zwanzig Minuten, ich hab ihn in den Salon gesetzt. Wo waren Sie denn?«
»Bei Bekannten. Sie wohnen auswärts, und ich habe den letzten Zug verpasst, drum blieb ich gleich draußen über Nacht.«
Ich betrat den Salon. Dort stand ein kleiner, bescheidener Mann neben dem Piano. Er blätterte im Musikalbum, ich erkannte ihn nicht sogleich. Er hatte entzündete Augen. Übernächtig, ging es mir durch den Sinn. Oder hat er geweint? »Ich bin der Vater des W«, sagte er, »Herr Lehrer, Sie müssen mir helfen, es ist etwas Entsetzliches passiert! Mein Sohn wird sterben!«
»Was?!«
»Ja, er hat sich doch so furchtbar erkältet, heut vor acht Tagen beim Fußball im Stadion, und der Arzt meint, nur ein Wunder könne ihn retten, aber es gibt keine Wunder, Herr Lehrer. Die Mutter weiß es noch gar nicht, ich wagte es ihr noch nicht mitzuteilen – mein Sohn ist nur noch manchmal bei Besinnung, Herr Lehrer, sonst hat er immer nur seine Fieberphantasien, aber wenn er bei Besinnung ist, verlangt er immer so sehr, jemanden zu sehen –«
»Mich?«
»Nein, nicht Sie, Herr Lehrer, er möchte den Tormann sehen, den Fußballer, der am letzten Sonntag so gut gespielt haben soll, der ist sein ganzes Ideal! Und ich dachte, Sie wüssten es vielleicht, wo ich diesen Tormann auftreiben könnt, vielleicht wenn man ihn bittet, dass er kommt.«
»Ich weiß, wo er wohnt«, sagte ich, »und ich werde mit ihm sprechen. Gehen Sie nur nach Hause, ich bring den Tormann mit!«
Er ging.
Ich zog mich rasch um und ging auch. Zum Tormann. Er wohnt in meiner Nähe. Ich kenne sein Sportgeschäft, das seine Schwester führt.
Da es Sonntag war, war es geschlossen. Aber der Tormann wohnt im selben Haus, im dritten Stock.
Er frühstückte gerade. Das Zimmer war voller Trophäen. Er war sofort bereit, mitzukommen. Er ließ sogar sein Frühstück stehen und lief vor mir die Treppen hinab. Er nahm für uns beide ein Taxi und ließ mich nicht zahlen.
In der Haustür empfing uns der Vater. Er schien noch kleiner geworden zu sein. »Er ist nicht bei sich«, sagte er leise, »und der Arzt ist da, aber kommen Sie nur herein, meine Herren! Ich danke Ihnen vielmals, Herr Tormann!«
Das Zimmer war halbdunkel, und in der Ecke stand ein breites Bett. Dort lag er. Sein Kopf war hochrot, und es fiel mir ein, dass er der Kleinste der Klasse war. Seine Mutter war auch klein.
Der große Tormann blieb verlegen stehen. Also hier lag einer seiner ehrlichsten Bewunderer. Einer von den vielen tausend, die ihm zujubeln, die am meisten schreien, die seine Biographie kennen, die ihn um Autogramme bitten, die so gerne hinter seinem Tor sitzen und die er durch die Ordner immer wieder vertreiben lässt. Er setzte sich still neben das Bett und sah ihn an.
Die Mutter beugte sich über das Bett. »Heinrich«, sagte sie, »der Tormann ist da.«
Der Junge öffnete die Augen und erblickte den Tormann. »Fein«, lächelte er.
»Ich bin gekommen«, sagte der Tormann, »denn du wolltest mich sehen.«
»Wann spielt ihr gegen England?« fragte der Junge.
»Das wissen die Götter«, meinte der Tormann, »sie streiten sich im Verband herum. Wir haben Terminschwierigkeiten – ich glaub, wir werden eher noch gegen Schottland spielen.«
»Gegen die Schotten gehts leichter –«
»Oho! Die Schotten schießen ungeheuer rasch und aus jeder Lage.«
»Erzähl, erzähl!«
Und der Tormann erzählte. Er sprach von berühmtgewordenen Siegen und unverdienten Niederlagen, von strengen Schiedsrichtern und korrupten Linienrichtern. Er stand auf, nahm zwei Stühle, markierte mit ihnen das Tor und demonstrierte, wie er einst zwei Elfer hintereinander abgewehrt hatte. Er zeigte seine Narbe auf der Stirne, die er sich in Lissabon bei einer tollkühnen Parade geholt hatte. Und er sprach von fernen Ländern, in denen er sein Heiligtum hütete, von Afrika, wo die Beduinen mit dem Gewehr im Publikum sitzen, und von der schönen Insel Malta, wo das Spielfeld leider aus Stein besteht –
Und während der Tormann erzählte, schlief der kleine W ein. Mit einem seligen Lächeln, still und friedlich. – – –
Das Begräbnis fand an einem Mittwoch statt, nachmittags um halb zwei. Die Märzsonne schien, Ostern war nicht mehr weit.
Wir standen um das offene Grab. Der Sarg lag schon drunten.
Der Direktor war anwesend mit fast allen Kollegen, nur der Physiker fehlte, ein Sonderling. Der Pfarrer hielt die Grabrede, die Eltern und einige Verwandte verharrten regungslos.
Und im Halbkreis uns gegenüber standen die Mitschüler des Verstorbenen, die ganze Klasse, alle fünfundzwanzig.
Neben dem Grab lagen die Blumen. Ein schöner Kranz trug auf einer gelb-grünen Schleife die Worte: »Letzte Grüße Dein Tormann.«
Und während der Pfarrer von der Blume sprach, die blüht und bricht, entdeckte ich den N.
Er stand hinter dem L, H und F.
Ich beobachtete ihn. Nichts rührte sich in seinem Gesicht.
Jetzt sah er mich an.
Er ist dein Todfeind, fühlte ich. Er hält dich für einen Verderber. Wehe, wenn er älter wird! Dann wird er alles zerstören, selbst die Ruinen deiner Erinnerung.
Er wünscht dir, du lägest jetzt da drunten. Und er wird auch dein Grab vernichten, damit es niemand erfährt, dass du gelebt hast.
Du darfst es dir nicht anmerken lassen, dass du weißt, was er denkt, ging es mir plötzlich durch den Sinn. Behalt sie für dich, deine bescheidenen Ideale, es werden auch nach einem N noch welche kommen, andere Generationen – glaub nur ja nicht, Freund N, dass du meine Ideale überleben wirst! Mich vielleicht.
Und wie ich so dachte, spürte ich, dass mich außer dem N noch einer anstarrte. Es war der T.
Er lächelte leise, überlegen und spöttisch.
Hat er meine Gedanken erraten?
Er lächelte noch immer, seltsam starr.
Zwei helle runde Augen schauen mich an. Ohne Schimmer, ohne Glanz.
Ein Fisch?


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